5 Jahre Rifkin – und jetzt?

Warum der Rifkin-Prozess bis jetzt enttäuscht hat und wir jetzt eine ambitioniertere Wirtschaftsstrategie brauchen

Vor genau fünf Jahren wurde die Strategie zur dritten industriellen Revolution, auch „Rifkin-Strategie“ genannt, von der Regierung vorgestellt. Die Idee: Unser Land angesichts der Klimakrise und der Digitalisierung bestmöglich auf diese Umbrüche vorbereiten. Konkrete politische Maßnahmen sollten die wirtschaftliche Transformation gestalten.

In den Jahren 2017 und 2018 wurden erste Zwischenberichte erstellt, um die Fortschritte zu evaluieren. Doch danach geriet der Rifkin-Prozess ins Stocken. Der nächste Bericht ließ bis Anfang 2021 auf sich warten und Episoden wie die Diskussion um die Joghurt-Fabrik FAGE ließen Zweifel an der Ernsthaftigkeit der Strategie aufkommen. Auch der mangelnde Fortschritt in einigen Bereichen wirft kein gutes Licht auf den Rifkin-Prozess, z.B. in der Landwirtschaft, wo Luxemburg mit heute 5% biologischer Landwirtschaft weit davon entfernt ist, das Ziel von 20% Bio bis 2025 zu erreichen.

Ende Juni dieses Jahres kündigte das Wirtschaftsministerium an, dass die Abteilung „Luxembourg Stratégie“ die Fortsetzung des Prozesses übernehmen wird. Angesichts der veränderten Umstände, darunter die Pandemie, soll die Strategie erweitert werden. Wie genau und mit welchen Prioritäten bleibt allerdings noch offen.

Tatsächlich hat sich die Ausgangslage seit 2016 verändert, nicht nur durch die Pandemie, sondern auch durch die sich verschärfende Klimakrise. Noch nie gab es einen größeren gesellschaftlichen Konsens darüber, dass wir handeln müssen. Doch genau hier geht die Rifkin-Strategie nicht weit genug. Der für die Energiewende zentrale Klima- und Energieplan sowie die sektoriellen Klimaziele finden sich bisher nur teilweise darin wieder. Darüber hinaus muss allgemein mehr getan werden, um die richtigen Rahmenbedingungen für eine klimaneutrale Wirtschaft zu schaffen.

Klimaschutz belohnen

Im Vergleich zu 2012 hat sich die Produktion von erneuerbarem Strom in Luxemburg verdreifacht. Auch im Bereich der Bepreisung von klimaschädlichen Emissionen gab es wichtige Fortschritte. Bis 2023 wird die CO2-Bepreisung auf 30€/Tonne CO2 steigen. Dies war ein elementarer Schritt, um Klimaschutz zu belohnen und erneuerbare Energien wettbewerbsfähiger zu machen. Doch Berechnungen des STATEC zeigen, dass die dadurch erzielten Einsparungen noch nicht genügen, um unsere Klimaziele zu erreichen.[1] Deshalb muss die Steuer weiter steigen, zusammen mit den sozialen Maßnahmen für Geringverdiener. Die OECD geht davon aus, dass die Steuer bis 2030 etwa 120€/t CO2 betragen muss, um das Ziel der Klimaneutralität bis 2050 erreichen zu können.[2]

Es ist wichtig, schon heute ein klares politisches Signal zu setzen, dass die CO2-Bepreisung weiter steigen und sich Klimaschutz deshalb in Zukunft lohnen wird. So werden Unternehmen und Haushalte dazu ermutigt, heute in klimafreundliche Alternativen zu investieren. Besonders bei langlebigen Investitionen, z.B. in der Industrie, ist dies von zentraler Bedeutung.

Außerdem sollte der Staat Betriebe bei klimafreundlichen Investitionen finanziell unterstützen. In den letzten Jahren sind die ausbezahlten Beträge an Unternehmen jedoch gesunken. Es besteht also Handlungsbedarf, diese Subventionen attraktiver zu machen, damit in Zukunft mehr Unternehmen davon Gebrauch machen.

Gleichzeitig müssen staatliche Subventionen in fossile Energien abgeschafft werden. Steuerregelungen wie die sehr niedrige Kfz-Steuer schaden dem Klima und schaffen falsche Anreize. Darüber hinaus müssen die Auswirkungen der Steuer- und Haushaltspolitik auf das Klima und die Umwelt viel genauer analysiert werden. Um die Kreislaufwirtschaft zu fördern sollte auch wie im Regierungsprogramm vorgesehen die reduzierte Mehrwertsteuer auf Reparaturarbeiten endlich umgesetzt werden.

Nachhaltige Finanzwende

Glaubt man dem letzten Rifkin-Zwischenbericht, wurden die Ziele zur nachhaltigen Gestaltung des Finanzwesens vollkommen umgesetzt. Dieses Fazit ist jedoch kein Zeichen dafür, dass der luxemburgische Finanzsektor die Risiken des Klimawandels besonders ernst nimmt, sondern zeigt nur die Ambitionslosigkeit der Strategie in diesem Punkt.

Investitionen in klimaschädliche Aktivitäten sind weiterhin die Norm. Laut der luxemburgischen Zentralbank ist seit 2016 die Anzahl der Bankanleihen an CO2-intensive Unternehmen überproportional gewachsen und hat 2020 einen Anteil von 46% erreicht. Auch bei den Investmentfonds sieht die Situation nicht rosiger aus: klimaschädliche Aktien und Anleihen stellen weiterhin einen erheblichen Teil der Geldanlage der Investmentfonds dar. Der Zentralbank zufolge zeigt dies, dass die Finanzakteure ihre Aktivitäten nur sehr zaghaft auf kohlenstoffarme Sektoren umstellen.[3]

Ein strukturelles Umdenken im Finanzsektor hat demnach nicht stattgefunden. Dies ist nicht nur schlecht fürs Klima, es führt auch dazu, dass das Finanzsystem den vom Klimawandel ausgehenden systemischen Risiken stark ausgesetzt ist. Das ist besonders relevant, weil der Finanzplatz für über ein Viertel des Bruttoinlandsprodukts verantwortlich ist und somit unmittelbar zum hohen Wohlstand Luxemburgs beiträgt.

Gleichzeitig birgt der Fondssektor mit seinen 5.600 Milliarden an Investitionen ein enormes Potential, um die Klimatransition zu finanzieren. Es muss also viel mehr getan werden, um eine reale nachhaltige Wende des Finanzsektors herbeizuführen. Eine Verwässerung der EU-Taxonomie zugunsten von Gas und Atomenergie, wie sie der Finanzminister noch kürzlich in einem Radio-Interview verteidigte, wäre dagegen ein vollkommen falscher Schritt.

Soziale Umbrüche antizipieren

Die dritte industrielle Revolution und die damit verbundene Automatisierung und Digitalisierung werden die Wirtschaft und die Arbeitswelt grundlegend umgestalten. Diese sozialen Umbrüche müssen von der Politik antizipiert werden. Der neueste Zwischenbericht zur Rifkin-Studie zeigt, dass in diesem Bereich kaum Fortschritte erzielt wurden. Hinzu kommt, dass sich die Rifkin-Strategie von Anfang an nur sehr am Rande mit den sozialen Fragen der Zukunft beschäftigt hat. Es scheint, dass nur die Vorteile und Chancen der Digitalisierung, nicht aber ihre möglichen Konsequenzen in Betracht gezogen werden.

Jede Strategie, die den Anspruch hat, die Wirtschaft der Zukunft zu gestalten, muss sich mit den zukünftigen sozialen Herausforderungen befassen. Wie wird die Arbeitswelt in Zukunft aussehen? Wie können die Auswirkungen auf gering qualifizierte Arbeitnehmer aufgefangen werden? Wie kann verhindert werden, dass die Digitalisierung zu einer weiteren Prekarisierung führt? Wie wird der Sozialstaat in Zukunft finanziert? Das sind Fragen, die es zu beantworten gilt. Lösungsansätze, wie z.B. eine Reduzierung der Wochenarbeitszeit oder eine bessere Regulierung der Plattform-Wirtschaft, sollten offen diskutiert und umgesetzt werden.

Mehr Konkretes bitte!

Der Denkprozess, der durch die Rifkin-Strategie angestoßen wurde und der jetzt durch „Luxembourg Stratégie“ weitergeführt werden soll, ist prinzipiell sinnvoll. Wir brauchen einen ganzheitlichen Ansatz, der alle Ministerien und Akteure mit ins Boot holt. Die Neuauflage des Rifkin-Prozesses bietet somit eine Chance, eine schlüssige und ressortübergreifende Strategie in Richtung Klimaneutralität auf die Beine zu stellen.

Doch die Strategie darf sich nicht nur auf langfristige Überlegungen beschränken, sie muss auch konkrete Maßnahmen benennen und umsetzen, um die Klimaneutralität zu erreichen und dabei die Chancen der Digitalisierung sinnvoll zu nutzen. Dafür müssen jetzt alle Ministerien ihre Verantwortung übernehmen. Nur dann wird es gelingen, dem Rifkin-Prozess tatsächlich neues Leben einzuhauchen und den Weg in Richtung Klimaneutralität zu ebnen.

Claire Remmy ist Gemeinderätin in Strassen und studiert Umweltökonomie.

Liam Bremer studiert European Affairs an der Sciences Po Paris.

Fabricio Costa ist Politologe mit Schwerpunkt auf der Klimapolitik.

Alle drei Autor:innen sind Mitglieder des Vorstands von déi jonk gréng.


[1] STATEC (2020) Note de conjoncture 2, S.91

[2] OECD (2021), Effective Carbon Rates 2021

[3] BCL (2021), Revue de stabilité financière 2021, S. 132-139

Photo by Dimitry Anikin on Unsplash

Veröffentlicht: 18:45 15/11/2021