Lange Rede, kurzer Sinn?

Analyse von unseren Sprechern Fabricio Costa und Amy Winandy zur Debatte über die Lage des Landes und was die neuen Maßnahmen für die Jugend bedeuten

Um die derzeitige Lage zu beschreiben, eignet sich ein Wort besonders: unsicher. Niemand weiß genau, wann der Krieg in der Ukraine vorbei sein wird, ob und wann eine wirtschaftliche Rezession einsetzen wird und ob wir es auf globaler Ebene schaffen werden, den großen Herausforderungen unserer Zeit rechtzeitig zu begegnen. Diese Unsicherheit macht sich besonders bei der jungen Generation bemerkbar. Die Klimakrise, die Wohnungsnot, der Krieg, feministische Aufstände im Iran – die vielen Krisen verstärken die Ängste der jungen Menschen in unserem Land.

In seiner fast zweistündigen Rede befasste sich der Premierminister vorrangig mit jenen großen Krisen. Er wies in seiner Rede auf die Verantwortung hin, die die blau-rot-grüne Regierung mit den über 2 Milliarden schweren Maßnahmen aus zwei Tripartite-Runden übernommen hat.

Doch die Rede beschränkte sich nicht nur auf das Aufzählen von bereits beschlossenen Projekten. Es wurden auch neue Maßnahmen angekündigt. Und doch bleiben einige Baustellen, auf die der Premier in seiner Rede nur wenige bis keine Antworten gab.

Solarboom mit Hürden

In den letzten Jahren erlebten die erneuerbaren Energien in Luxemburg einen regelrechten Boom. Nun soll vor allem der Ausbau der Solarenergie weiter massiv gefördert werden. Mit der Reduzierung der Mehrwertsteuer auf Solaranlagen von 17% auf 3%, einer Erhöhung der Prämien, einer stabilen Einspeisevergütung, einer Solarpflicht auf Neubau sowie einem neuen Modell, bei dem Privatpersonen dem Staat ihre Flächen für Solaranlagen zur Verfügung stellen können, werden viele grüne Akzente gesetzt um die Sonnenenergie in Zukunft vollends ausnutzen.

Das Potential ist tatsächlich enorm. Allein in der Stadt Luxemburg könnte den Zahlen des Umweltberichts 2020 zufolge bis zu 160% des Stromverbrauchs der städtischen Privathaushalte durch Photovoltaik gedeckt werden. Dafür müssten alle Dächer in der Hauptstadt, die im Solarkataster mit „gut“ oder „sehr gut“ bewertet sind, mit Photovoltaikmodulen bestückt werden.

Doch auf kommunaler Ebene gibt es derzeit noch einige Hürden. In vielen Vierteln der Hauptstadt dürfen keine Solarmodule installiert werden, wenn sie von einem der Öffentlichkeit zugänglichen Ort aus sichtbar sind. Auch in anderen Gemeinden hindern veraltete Bauregulierungen die Menschen daran, unabhängiger von fossilen Energien zu werden. Hier muss unbedingt nachgebessert werden, damit die von der Regierung angekündigten Maßnahmen auch tatsächlich wirken können.

Ein weiterer Faktor, der riskiert, zum Hindernis für die Energiewende zu werden, ist der Mangel an qualifizierten Arbeitskräften im Handwerkssektor. Nicht nur der Ausbau der Solarenergie, auch der Umstieg auf Wärmepumpen und die notwendige energetische Renovierung von Gebäuden werden somit ausgebremst.

Wer sich hier eine konkrete Ankündigung vom Premierminister erwartet hatte, wurde leider enttäuscht. Es mangelt weiterhin an einer klaren Strategie, um den Handwerkermangel konsequent anzugehen. Im Bildungsbereich müsste zum Beispiel dafür gesorgt werden, dass die Schüler*innen bereits in der Grundschule mehr Einblicke in handwerkliche Berufe bekommen, um ihre praktischen Kompetenzen zu fördern. 

Die Entscheidung, einen Handwerksberuf zu erlernen, darf nicht, wie es heute oft der Fall ist, das Resultat von schulischem Misserfolg sein. Im Gegenteil – die Schüler*innen müssen von Anfang an im Rahmen ihrer schulischen Orientierung nahegebracht bekommen, dass es sich hierbei um vielversprechende Berufe handelt, die viele Karrieremöglichkeiten bieten.

Mobilisierungssteuer ohne Wirkung?

Wie vor einem Jahr versprochen, legte die Regierung pünktlich zur Rede über die Lage der Nation einen Reformvorschlag der Grundsteuer, sowie einen Vorschlag zur Einführung einer Mobilisierungs- und Leerstandsteuer vor. Letztere sollen dabei helfen, mehr Wohnraum zu mobilisieren.

Mit der Mobilisierungssteuer sollen bebaubare Flächen besteuert werden, um somit einen Anreiz für die Besitzer zu schaffen, die Flächen für den Wohnungsmarkt zu mobilisieren. Der Vorschlag sieht vor, dass für jedes Kind unter 25 Jahren ein Steuerabschlag gelten soll. Im Beispiel, das vom Innenministerium vorgelegt wurde, würde dies bedeuten, dass bei einem bebaubaren Grundstück von 6 Ar in Mersch die Mobilisierungssteuer nach 10 Jahren statt 2.579 Euro nur 29€ betragen würde. 

Durch den Steuerabschlag würde also in diesem Fall der Anreiz, das Grundstück zu bebauen, komplett neutralisiert. Es stellt sich demnach die Frage, ob durch diese Klausel, die eigentlich der jungen Generation zugutekommen soll, nicht die Wirksamkeit der Steuer von vorne herein untergraben wird. Die Steuer riskiert somit kaum zur Lösung der Wohnungskrise beizutragen. Dabei sind es die heutigen jungen Erwachsenen, die nicht das Glück haben, von den Eltern eine Wohnung oder ein Grundstück zur Verfügung gestellt zu bekommen, die besonders von den hohen Wohnungspreisen betroffen sind.

Kaufkraft unterstützen

Neben den steuerlichen Maßnahmen in der Wohnungspolitik kündigte die Regierung auch eine deutliche Erhöhung des Steuerkredits für Alleinerziehende an. Darüber hinaus soll auch das Personal in den Sozialämtern aufgestockt werden. Zusammen mit den sozialen Maßnahmen aus der Tripartite soll der Regierung zufolge somit eine soziale Krise als Konsequenz der Energiekrise verhindert werden.

Die Regierung hat es verpasst, ein starkes Signal an die Jugend zu senden, zum Beispiel über eine Indexierung der Studienbeihilfen.

Doch auch die Jugend ist von der aktuellen Energiekrise betroffen. Sie profitieren zwar auch von der in der Tripartite beschlossenen Energiepreisbremse. Doch junge Erwachsene, die es zeitlich nicht hinbekommen, neben dem Studium zu arbeiten, bekommen keinen Index. Bekommen sie ihn doch, so fällt er angesichts von meist niedrigeren Löhnen kaum ins Gewicht.

Die Regierung hat es verpasst, hier ein stärkeres Signal an die Jugend zu senden, zum Beispiel über eine Indexierung der Studienbeihilfen. Somit hätte sichergestellt werden können, dass Studierende auch in Zukunft ihren Kaufkraftverlust wenigstens teilweise kompensiert bekommen. 

Mentale Gesundheit ernst nehmen 

Auch im Bereich der mentalen Gesundheit hätte man sich mehr von der Rede des Premiers erwarten können. Er erklärte zwar, dass man mit dem Tabu der mentalen Krankheiten brechen müsse. Angesichts der Tatsache, dass psychotherapeutische Behandlungen nach 5 Jahren Verhandlungen immer noch nicht von der CNS rückerstattet werden, bleibt diese Aussage jedoch ohne Substanz.

Die derzeitigen Krisen verstärken die Ängste der jungen Generation. Angesichts der sich zuspitzenden Klimakrise steigt vor allem die Klimaangst. Und obwohl immer mehr Menschen unter mentalen Erkrankungen leiden, werden diese weiterhin stigmatisiert. Es gilt deshalb, mehr Aufmerksamkeit auf das mentale Wohlbefinden zu lenken und mentalen Krankheiten den gleichen Stellenwert beizumessen wie physischen Erkrankungen, sei es als Querschnittsthema im Bildungsbereich, in der Gestaltung des Arbeitslebens oder beim Zugang zu psychotherapeutischen Angeboten. 

Neben der Rückerstattung der Behandlungskosten könnte auch ein Recht auf Telearbeit an 2 Tagen in der Woche in jenen Berufen, in denen dies möglich ist, eingeführt werden. Somit könnten viele Menschen Beruf und Privatleben besser miteinander vereinbaren. Durch die gewonnene Zeit werden zusätzliche Aktivitäten ermöglicht, die das mentale Wohlbefinden fördern. 

Der Unsicherheit zum Trotz

Die Rede des Premiers hat einige Wege aufgezeigt, wie die Regierung im letzten Jahr der Legislatur noch Akzente setzen will. Es gilt, diese Ankündigungen trotz des sich anbahnenden Wahlkampfs konsequent umzusetzen und gleichzeitig dort nachzubessern, wo es erforderlich ist.

Gerade in unsicheren Zeiten braucht unser Land eine ambitionierte Politik, die eine klare Richtung vorgibt und den Bürger*innen ihr Handeln erklärt. Vor allem der jungen Generation sind die politischen Verantwortlichen schuldig, eine Politik zu betreiben, die die Herausforderungen unserer Zeit konsequent angeht, unabhängig davon, ob in einem Jahr Wahlen sind oder nicht.

Erstpublikation: Luxemburger Wort, 15.10.2022

Veröffentlicht: 15:05 18/10/2022