Die mentale Gesundheit endlich vom Tabuthema zur politischen Priorität machen!

Fabricio Costa & Amy Winandy (Spriecher*inne vun déi jonk gréng)

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Die mentale Gesundheit rückte in den letzten Jahren stärker in den Fokus der Öffentlichkeit. Im Zuge der Pandemie hat sich das mentale Wohlbefinden der Menschen verschlechtert. Gleichzeitig werden psychische Erkrankungen wie z.B. Angststörungen häufiger. Immer öfter beeinträchtigen auch Zukunftsängste im Zusammenhang mit der Klimakrise oder dem Krieg in der Ukraine die mentale Verfassung von jungen Menschen und machen sie vulnerabler.

Dieser Entwicklung entgegen steht eine Gesellschaft, die psychische Erkrankungen weiterhin zu oft tabuisiert, sowie ein Gesundheitssystem, dessen Betreuungsangebot im Bereich der mentalen Gesundheit hinterherhinkt.

Die mentale Gesundheit war in den letzten Jahren leider keine politische Priorität. Es hat über 5 Jahre gedauert, um in den Verhandlungen über die Rückerstattung von psychotherapeutischen Behandlungen einen Schritt voran zu kommen. Wir bedauern ausdrücklich, dass hier zu Lasten der Patient*innen viel Zeit verloren wurde. Auch die Vorstellung des im Koalitionsvertrag von 2018 angekündigten Aktionsplans zur mentalen Gesundheit wurde bereits zweimal verschoben, von 2021 auf 2022 und soll nun doch erst im Frühjahr 2023 veröffentlicht werden.

Wir brauchen sowohl eine Gesellschaft, welche die mentale Gesundheit präventiv fördert und somit auch mentale Erkrankungen so gut wie möglich verhindert, als auch ein adäquates Betreuungsangebot, das im Fall einer psychischen Erkrankung schnell und effizient eingreifen kann. Um dieser Vision einen Schritt näher zu kommen, fordern wir als déi jonk gréng die Umsetzung der folgenden Maßnahmen

1. Prävention und Sensibilisierung bei Schüler*innen stärken

Schülerinnen waren in den letzten Jahren starken psychischen Belastungen ausgesetzt. Es gilt deshalb, die mentale Gesundheit auch in der Schule zu stärken.

Wir schlagen vor, im schulischen Kontext eine obligatorische psychologische Konsultation einzuführen, nach dem Vorbild der allgemeinmedizinischen Untersuchung, die bereits heute alle zwei Jahre stattfindet. Diese Untersuchung könnte vom SePAS übernommen werden. In diesem Fall sollte eine personelle Aufstockung des SePAS ins Auge gefasst werden. Die Untersuchung könnte allerdings auch von externen Psychotherapeutinnen durchgeführt werden. Hier sollte im Sinne der Schüler*innen die beste Lösung erarbeitet werden.

Eine stärkere Prävention erfordert auch eine bessere Sensibilisierung, sowohl bei den Schüler*innen wie auch bei den Lehrer*innen. Die mentale Gesundheit sollte demnach als transversales Thema im Unterricht eingebaut werden, z.B. in den Fächern “Vie et société” und “Éducation sexuelle et affective” sowie bei der Kunsterziehung und dem Sprachunterricht.

Dabei soll auch auf eine intersektionale Perspektive aufmerksam gemacht werden, die auf die Komplexität der verschiedenen Formen von Diskrimination und Mobbing eingeht, um somit die passende Unterstützung zu geben. Gleichzeitig sollte die mentale Gesundheit auch in die Aus- und Weiterbildung der Lehrer*innen integriert werden, damit sie etwaige Probleme bei Schüler*innen besser erkennen und dementsprechend reagieren können und auch über bereits existierende Hilfezentren informieren.

2. Eine bessere Work-Life Balance sicherstellen

Ein weiterer Faktor, der sich auf die mentale Verfassung auswirkt, ist die Vereinbarkeit von Privatleben und Beruf. Ob als Nebenjob während der schulischen Laufbahn oder als Hauptberuf, eine Balance zwischen Privatleben und Arbeit zu finden kann oft schwer sein und somit die mentale Gesundheit belasten. Dies kann besonders überwältigend sein, wenn man erstmals Erfahrungen in der Arbeitswelt sammelt.

Leider kommt die Zeit für sich selbst oft zu kurz. Arbeit und anderwertige Verpflichtungen stellen ein immer größeres Pensum dar. Es entstehen vermehrt Stresssituationen – Depressionen oder auch Burnouts können die Folge sein. Dies hat nicht nur negative Auswirkungen für die Betroffenen, sondern führt auch zu hohen Kosten für die Gesundheitskasse.

Allgemein würde ein Recht auf Telearbeit während zwei Tagen in der Woche bei den Berufen, wo es möglich ist, helfen, eine gesunde Work-Life Balance zu fördern und somit Stress und mögliche Burnouts besser zu vermeiden.

Wir schlagen vor, die Telearbeit von Pendler*innen in Verhandlungen mit unseren Nachbarländern auszuweiten. Derzeit variieren die jährlichen Tagesobergrenzen, an denen ein*e Pendler*in von zuhause aus arbeiten kann, ohne steuerlich benachteiligt zu sein. Für Pender*innen in Frankreich und Belgien sind es 34 Tage und in Deutschland 19 Tage. Wir fordern, dass die Regierung Verhandlungen aufnimmt, um die Obergrenze auf mindestens 50 Tage im Jahr zu erhöhen, was etwa einem Tag in der Woche entspricht. In diesem Zusammenhang sollte Luxemburg auch bereit sein, unseren Nachbarländern für diesen Steuerausfall einen finanziellen Ausgleich anzubieten, z.B. in Form von Investitionen in Infrastrukturprojekte.

Schließlich sollten Burnouts als Berufskrankheit anerkannt werden, um damit zu zeigen, dass mentale Gesundheit genauso wichtig ist wie die physische und ernst genommen wird. Derzeit wird der Burnout nicht in der Nomenklatur der CNS geführt. Die Anerkennung als Berufskrankheit würde den Betroffenen die Unterstützung zusprechen, die sie benötigen.

3. Armut verhindern und bekämpfen

Die sozialen Umstände haben einen wichtigen Einfluss auf die mentale Verfassung.  Soziale Umstände, gepaart mit einschneidenden Ereignissen wie z.B. dem Jobverlust, einer Trennung oder einer plötzlichen Krankheit können zur Entwicklung einer psychischen Erkrankung beitragen. Prekarität zu verhindern und dafür zu sorgen, dass keiner durch das soziale Raster fällt, bedeutet also auch präventiv die mentale Gesundheit der Bürger*innen zu stärken.

Darüber hinaus geht Prekarität auch oft einher mit einer Exklusion aus der Gesellschaft, da die gesellschaftliche Teilhabe z.B. an kulturellen Veranstaltungen Ausgaben voraussetzt. Seit 2016 ermittelt das STATEC das Referenzbudget (“budget de référence”). Es handelt sich dabei um das Mindestbudget, mit dem ein würdiges Leben in Luxemburg finanziert werden kann. Dem STATEC zufolge entsprach das Referenzbudget im Jahr 2019 für eine alleinlebende Person etwa 2.110 Euro im Monat. Der nicht-qualifizierte Netto-Mindestlohn liegt heute bei etwa 2.000€ und somit unter dem Referenzbudget von 2019.

Angesichts der derzeit hohen Inflation und des steigenden Armutsrisikos müssen Haushalte mit niedrigem Einkommen daher zusätzlich unterstützt werden. Die Indexierung der Löhne allein reicht für niedrige Einkommen nicht aus, um die steigenden Kosten aufzufangen.

Kurzfristig könnte dies über eine Erhöhung des Mindestlohns erfolgen, um den Mindestlohn und das Referenzbudget anzunähern. Dies sollte über eine Erhöhung des Steuerkredits für Mindestlohnempfänger*innen  (“crédit d’impôt salaire social minimum”) umgesetzt werden, womit die Kosten vom Staat und nicht von den Unternehmen, die bereits für mehrere Indextranchen aufkommen müssen, gestemmt werden würden.

Eine automatische Indexierung der Teuerungszulage (“Allocation de vie chère”) würde Haushalte mit niedrigem Einkommen zusätzlich unterstützen. Dies wäre nach der vor kurzem beschlossenen automatischen Indexierung des Kindergeldes ein logischer Schritt.

Alle unsere Forderungen im PDF-Format gibt es hier.


Faire de la santé mentale enfin une priorité politique!

Retrouvez toutes nos revendications en français ici.

Veröffentlicht: 11:34 06/01/2023